OLG Stuttgart: Keine Einigungsgebühr bei Erledigung der Hauptsache

Das OLG Stuttgart hat in einem von uns vertretenen Fall (OLG Stuttgart, Beschluss vom 15. Februar 2012, Az. 8 W 13/12) noch einmal klar gestellt, dass bei Erledigung der Hauptsache keine Einigungsgebühr fällig wird. Auch keine solche nach Nr. 1003, 1000 VV RVG. Es fehle, so die Richter, an der vertraglichen Vereinbarung.

Aus dem Beschluss:

Nach Nr. 1000 Abs. 1 Satz 1 VV RVG entsteht die Einigungsgebühr, wenn der Streit oder die Ungewissheit der Parteien über ein Rechtsverhältnis durch Abschluss eines Vertrages unter Mitwirkung des Rechtsanwalts beseitigt wird, es sei denn der Vertrag beschränkt sich ausschließlich auf ein Anerkenntnis oder einen Verzicht. Der Vertrag kann auch stillschweigend geschlossen werden und ist nicht formbedürftig, soweit dies materiell-rechtlich nicht besonders vorgeschrieben ist. Die Einigungsgebühr sollte die frühere Vergleichsgebühr des §§ 23 BRAGO ersetzen und gleichzeitig inhaltlich erweitern. Sie sollte jegliche vertragliche Beilegung eines Streits der Parteien honorieren (vgl. BGH NJW-RR 2007, 359 = AGS 2007,57 = JurBüro 2007, 73).

Im vorliegenden Fall fehlt es an einer solchen vertraglichen Einigung. Vielmehr haben die Parteien ihre Erledigungserklärungen „ohne Anerkennung einer Rechtspfficht und ohne jegliches Präjudiz“ bzw. „unter Beibehaltung ihrer Rechtsstandpunkte“ abgegeben.

Die Erklärung der Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache stellt jedoch eine bloße Prozesshandlung dar. Selbst wenn beide Parteien eine solche Erklärung übereinstimmend abgeben, wird dadurch lediglich die Rechtshängigkeit des bisher streitigen Anspruchs beendet. Damit geben die Parteien allein zu erkennen, dass sie an einer Sachentscheidung durch das Gericht nicht mehr interessiert sind. Nur wenn die Parteien darüber hinaus eine materiell-rechtliche Regelung treffen, die durch zwei übereinstimmende Willenserklärungen mit Rechtsbindungswillen – gegebenenfalls auch durch schlüssiges Verhalten – zu Stande kommt, fällt eine Einigungsgebühr an (OLG Stuttgart FamRZ 2009, 145; OLG Köln JurBüro 2011, 526; MDR 2006, 539; OLG Nürnberg MDR 2011, 455; Hartmann, Kostengesetze 41. Aufl. Nr. 1000 VV RVG Rn. 27; Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, RVG 19. Aufl., VV 1000 Rn. 128, jeweils m. W. N.).

Die Einigungsgebühr war deshalb insgesamt abzusetzen.

Der „Fall Facebook“ – weder neu noch ungewöhnlich: Behörden greifen regelmäßig auf Profil-Inhalte zu

Diese Woche war den Medien gleich mehrfach zu entnehmen, dass ein Reutlinger Amtsrichter Geschichte schreiben könnte, indem er ein Facebook-Profil samt E-Mails und Anhänge beschlagnahmen lassen will bzw. selbiges angeordnet hat. Diese Vorgehensweise ist allerdings weder „neu“ noch „einzigartig“ – sondern vielmehr gängige Ermittlungspraxis.

Der Reutlinger Amtsrichter Hamann soll nach Medienberichten in die Geschichte eingehen.  Und zwar deshalb, weil er von Facebook gerne Inhalte eines bestimmten Profils hätte, um die Aussagen eines Beschuldigten, der auf der Anklagebank sitzt, zu überprüfen. Als „Präzedenzfall“ wird die Vorgehensweise in den Medien sogar bereits tituliert.

Möglicherweise wird Facebook von einem deutschen Richter zum ersten Mal mit solch einem Beschluss konfrontiert – das Beschlagnahmen von Profilinhalten oder Kommunikationsverkehr innerhalb sozialer Netzwerke ist allerdings weder neu noch einmalig oder ungewöhnlich. Uns sind zahlreiche Verfahren aus der Vergangenheit bekannt, wo eben genau jene Rechtspraxis Anwendung finden sollte. Eine unserer Mandantinnen ist ein großes deutsches soziales Netzwerk und wird mit derartigen Beschlüssen regelmäßig konfrontiert. So z.B. Amtsgericht Stuttgart, Beschluss v. 10.10.2011, Az. 29 Gs 2147/11; Amtsgericht Stuttgart, Beschluss v. 21.11.2011, Az. 27 Gs 2269/11 oder auch Amtsgericht Stuttgart, Beschluss v. 01.06.2011, Az. 1125/11 – um nur einige wenige zu nennen. In allen Beschlüssen wurde die Beschlagnahme von Kommunikationsverkehr innerhalb eines Profils angeordnet.

Wie die Vorgehensweise des Reutlinger Richters als „neuartig“ Aufmerksamkeit erzeugen konnte, ist deshalb verwunderlich. Möglicherweise wurde einfach noch nie ausreichend über das Thema gesprochen bzw. informiert.

Das Bundesverfassungsgericht (vgl. Beschluss v. 16.06.09, Az.: 2 BvR 902/06) sowie der Bundesgerichtshof (vgl. Beschluss v. 24. November 2009, Az.: StB 48/09) haben sich bereits mit der grundsätzlichen Thematik beschäftigt, ob und inwiefern E-Mail-Postfächer beschlagnahmt werden dürfen. Die Entscheidungen dürften in weiten Teilen auch auf soziale Netzwerke übertragbar sein.

Es ist daher zwar stets streng zu prüfen, was herausgegeben werden soll und auf welcher Grundlage das Ganze basiert – das ändert aber nichts an der Tatsache, dass die Vorgehensweise nicht bereits längst bekannt ist und eher die Regel als die Ausnahme.

Dreht es sich nicht um Kommunikationsverkehr bzw. ganze Postfächer, sondern um die Bestandsdaten von Mitgliedern solcher Netzwerke, so beruft sich die ermittelnde Polizei oftmals sogar ohne entsprechenden Beschluss lediglich auf das Telemediengesetz, das in § 14 Abs. 2 TMG vorsieht:

Auf Anordnung der zuständigen Stellen darf der Diensteanbieter im Einzelfall Auskunft über Bestandsdaten erteilen, soweit dies für Zwecke der Strafverfolgung, zur Gefahrenabwehr durch die Polizeibehörden der Länder, zur Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder, des Bundesnachrichtendienstes oder des Militärischen Abschirmdienstes oder des Bundeskriminalamtes im Rahmen seiner Aufgabe zur Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus oder zur Durchsetzung der Rechte am geistigen Eigentum erforderlich ist.

Derartige Anfragen sind dabei sogar längst an der Tagesordnung, wenngleich die oben zitierte Norm viel Raum für Interpretation lässt.

EuGH: Soziale Netzwerke müssen nicht filtern

Ein sehr interessantes Urteil des EuGH wurde vergangene Woche bekannt: Soziale Netzwerke dürfen demnach nicht verpflichtet werden, Filtersysteme einzurichten, um urheberrechtlich geschütztes Material herauszufiltern (Az.: C‑360/10). Sogenannte Blacklists würden den Diensteanbieter zu einer ganz allgemeinen Überwachung verpflichten. Eine solche Überwachung sei hingegen nach Art. 15 Abs. 1 der E-Commerce-Richtlinie verboten. Der EuGH wendet sich mit dem Urteil etwas von der ständigen Rechtsprechug des Bundesgerichtshofes ab, der in der Vergangenheit eher dazu tendiert hat, dass Host-Provider kerngleiche Verstöße in der Zukunft verhindern müssen.

Aus der Pressemitteilung des EuGH:

„Fest steht auch, dass die Einführung dieses Filtersystems bedeuten würde, dass der Hosting- Anbieter zum einen unter sämtlichen Dateien, die von den Nutzern seiner Dienste auf seinen Servern gespeichert werden, die Dateien ermittelt, die Werke enthalten können, an denen Inhaber von Rechten des geistigen Eigentums Rechte zu haben behaupten. Zum anderen müsste der Hosting-Anbieter sodann ermitteln, welche dieser Dateien in unzulässiger Weise gespeichert und der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden, und schließlich müsste er die Zurverfügungstellung von Dateien, die er als unzulässig eingestuft hat, blockieren. Eine solche präventive Überwachung würde eine aktive Beobachtung der von den Nutzern bei dem Betreiber des sozialen Netzwerks gespeicherten Dateien erfordern. Daraus folgt, dass das Filtersystem den Betreiber zu einer allgemeinen Überwachung der bei ihm gespeicherten Informationen verpflichten würde, was nach der Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr verboten ist.

Der EuGH weist sodann darauf hin, dass die nationalen Behörden und Gerichte im Rahmen der zum Schutz der Inhaber von Urheberrechten erlassenen Maßnahmen ein angemessenes Gleichgewicht zwischen dem Schutz des Urheberrechts und dem Schutz der Grundrechte von Personen, die von solchen Maßnahmen betroffen sind, sicherzustellen haben (EuGH, GRUR-Int 2012, 153). Im vorliegenden Fall würde die Anordnung, ein Filtersystem einzurichten, jedoch bedeuten, dass im Interesse der Inhaber von Urheberrechten sämtliche der bei dem betreffenden Hosting-Anbieter gespeicherten Informationen oder der größte Teil davon überwacht würden. Diese Überwachung müsste zudem zeitlich unbegrenzt sein, sich auf jede künftige Beeinträchtigung beziehen und nicht nur bestehende Werke schützen, sondern auch Werke, die zum Zeitpunkt der Einrichtung dieses Systems noch nicht geschaffen waren. Deshalb würde eine solche Anordnung zu einer qualifizierten Beeinträchtigung der unternehmerischen Freiheit von Netlog führen, da sie Netlog verpflichten würde, ein kompliziertes, kostspieliges, auf Dauer angelegtes und allein auf seine Kosten betriebenes Informatiksystem einzurichten. Darüber hinaus würden sich die Wirkungen dieser Anordnung nicht auf Netlog beschränken, weil das Filtersystem auch Grundrechte der Nutzer seiner Dienste beeinträchtigen kann, und zwar ihre Rechte auf den Schutz personenbezogener Daten und auf freien Empfang oder freie Sendung von Informationen, bei denen es sich um Rechte handelt, die durch die Charta der Grundrechte der Europäischen Union geschützt sind. Die Anordnung würde nämlich zum einen die Ermittlung, systematische Prüfung und Verarbeitung der Informationen in Bezug auf die auf dem sozialen Netzwerk geschaffenen Profile bedeuten, bei denen es sich um geschützte personenbezogene Daten handelt, da sie grundsätzlich die Identifizierung der Nutzer ermöglichen. Zum anderen könnte die Anordnung die Informationsfreiheit beeinträchtigen, weil die Gefahr bestünde, dass das System nicht hinreichend zwischen unzulässigen und zulässigen Inhalten unterscheiden kann, so dass sein Einsatz zur Sperrung von Kommunikationen mit zulässigem Inhalt führen könnte.

Daher antwortet der EuGH, dass das nationale Gericht, erließe es eine Anordnung, mit der der Hosting-Anbieter zur Einrichtung eines solchen Filtersystems verpflichtet würde, nicht das Erfordernis beachten würde, ein angemessenes Gleichgewicht zwischen dem Recht am geistigen Eigentum einerseits und der unternehmerischen Freiheit, dem Recht auf den Schutz personenbezogener Daten und dem Recht auf freien Empfang oder freie Sendung von Informationen andererseits zu gewährleisten. (EuGH, Urt. v. 16. 2. 2012 – C-360/10).

Verletzung berechtigter Interessen durch Bildnisveröffentlichung

Das Kammergericht Berlin musste sich mit der Frage auseinandersetzen, ob die Veröffentlichung eines Bildnisses, welches einen Verurteilten zeigt, ohne Unkenntlichmachen des gesamten Kopfes rechtswidrig ist.

Das Kammergericht kam in seiner Entscheidung vom 28.04.2011 (10 U 196/10) zu der Überzeugung, dass die Veröffentlichung des Bildes eines Verurteilten im Zusammenhang mit der Berichterstattung über seine Verurteilung zu einer Freiheitstrafe von zwei Jahren auf Bewährung wegen Totschlag in einem minderschweren Fall angesichts der konkreten Umstände ein Bildnis aus dem Bereich der Zeitgeschichte gemäß § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG darstellt.

Nach Auffassung des Kammergerichts steht jedoch der Veröffentlichung das berechtigte Interesse des Abgebildeten gemäß § 23 Abs. 2 KUG entgegen, wenn er unter anderem als gefährdet gilt und Personenschutz in Anspruch nimmt.

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Bildnachweis: Thorben Wengert/pixelio.de

OLG Schleswig: Kein Schadensersatz nach missglückter Brust-OP

Der Fall an sich ist schnell erzählt: Ein junges Mädchen hat sich im Alter von 18 Jahren die Brüste straffen lassen. Nach der Operation kam es zu einer Wundinfektion und einer Asymmetrie der beiden Brüste. Deshalb verklagte die junge Patientin ihren behandelnden Arzt auf Schadenersatz. Zu Unrecht, wie nun die Richter des OLG Schleswig urteilten. Es besteht kein Anspruch auf Schadensersatz nach einer missglückten Schönheitsoperation, wenn sich „nur“ die Risiken der Operation verwirklicht haben, über die die Frau zuvor aufgeklärt worden ist.

Zusammen mit ihren Eltern erschien die junge Patientin zum Aufklärungsgespräch ihres behandelnden Arztes, der sie über mögliche Risiken bei der Bruststraffungsoperation aufgeklärt hat. Die rechte Brust sollte zudem noch etwas verkleinert werden.

Nach der Operation kam es zu einer Wundinfektion, die erst nach zwei Monaten abheilte. Die Patientin wollte daraufhin das Geld für die Operation zurück und Schmerzensgeld, insgesamt 11.000 Euro.

Vor Gericht wurde ein Gutachter gehört. Der kam zu dem Ergebnis, dass von Seiten des Arztes keine Fehler bei der Operation und bei der anschließenden Wundversorgung gemacht worden seien. Die Richter entschieden daraufhin:

„Der Beklagte hafte weder aufgrund eines Behandlungsfehlers noch aufgrund eines Aufklärungsfehlers. Ein Behandlungsfehler liege nur bei der schuldhaften Verletzung der Regeln der ärztlichen Kunst vor, allein der Misserfolg vermag eine Haftung nicht zu begründen. Ein Behandlungsfehler im Rahmen der Operation liege nach dem Gutachten des Sachverständigen nicht vor. Die eingetretene Infektion während einer Operation oder eines Klinikaufenthaltes bzw. einer ärztlichen Behandlung falle nicht in den voll beherrschbaren Risikobereich auf Behandlerseite, sofern nicht ein konkreter Hygienemangel nachzuweisen wäre. Die Infektion gehöre zum allgemeinen Operationsrisiko, auf das die Klägerin hingewiesen worden sei.

(OLG Schleswig, Beschl. v. 25. 1. 2012 – 4 U 103/10)